Hanshi Arneil

HANSHI STEVE ARNEIL (10. DAN)

(Hanshi Steve Arneil, Sommer 2008)

Steve Arneil wurde am 29. August 1934 in Krugerdorps, Südafrika, geboren, wo sein Vater in einem Stahlwerk arbeitete. Später zog die FamiIie nach Sambia, wo Vater Arneil als Schmelzer in einer Kupfermine eine Arbeit fand.

Im Alter von 12 Jahren begann Steve mit Judo unter dem Judoka Allen Robinson (damals 5. DAN). Ihm gefiel das Training sehr gut. Er ergänzte es aber noch mit Boxen. Eine Nasenverletzung, die er während des Boxens zuzog führte zu einer Operation. Aufgrund der Schläge, die er beim Boxtraining erhielt und wegen der Operation, verboten ihm die Eltern das Boxen.

Im Jahre 1950 legte er die Prüfung zum Shodan im Judo erfolgreich ab.
Während dieser Zeit sah Steve des öftern einen alten Chinesen hinter dessen Laden Kempo und Tai Chi trainieren. Mit ihm konnte er zwei Jahre mittrainieren. Gieichzeitig arbeitete er als Mechanikerlehrling und betätigte sich zusätzlich in diversen Sportarten, so auch Rugby. In der Rugbymannschaft war er einer der jüngsten Spieler, welcher die Farben der Nationalmannschaft von Nordrhodesien tragen dufte. Seine Mannschaft trat international gegen Simbabwe, England und Wales an.

Während seinen Ferien in Durban traf er einige Judokas, die Karate von japanischen Bootsarbeitern gelernt hatten. Dabei erhielt er seine ersten richtigen Karatelektionen von einem Okinawer, der ihn für einen Monat im Goju-Ryu unterrichtete. Da das Training sehr hart und aggressiv war, war Steve begeistert davon. Später, nach erfolgreich absolviertem Lehrabschluss, kehrte er nach Südafrika zurück. Dort suchte er japanische Bootsarbeiter, die meist auf Südamerikanischen Schiffen arbeiteten, und trainierte am Abend auf den Schiffen mit ihnen Karate. Für eineinhalb Jahre reiste Steve in Europa umher, wo er in Großbritannien wieder Judo betrieb. Nach seiner Rückkehr in Nordrhodesien setzte er sein Judo- und Kempotraining fort. Zudem übte er alleine Karate. Damals trainierte er alles durcheinander und wußte nicht richtig, was er machte.

Nachdem er eine Kata sah, die Joe Grant – Greerson vorführte, entschied er, sich auf das Karate zu konzentrieren. Auf Anraten des inzwischen alt gewordenen Chinesen, wollte er nach China. Via Südafrika, wo er arbeitete und Geld sparte, verließ er Rhodesien im Jahre 1958. Auf seiner Reise gelangte er nach Hong Kong wo er für sechs Monate in einem YMCA-Hotel lebte. Während dieser Zeit trainiert er in einem Kung Fu Dojo. Doch das Training sagte ihm nicht zu und er wollte nach China reisen. Dies wurde ihm allerdings verwehrt. Nach diesem gescheiterten Vorhaben gelangte er nach Malaysia wo er auf einem Schiff nach den Philippinen anheuerte. Dort blieb er für sechs Wochen und arbeitete wieder auf einem Schiff. Er hatte dabei die Möglichkeit, Messerkampftechniken zu erlernen, welche ihn sehr beeindruckten und die er heute noch trainiert. Danach kehrte er nach Hong Kong zurück und setzte die Suche nach demjenigen Mann fort, welcher von seinem chinesischen Lehrer als sehr diszipliniert und unheimlich kräftig beschrieben worden war. Dieser Mann hieß Oyama.

In Yokohama angekommen, ein Fremder in einem fremden Land, begab er sich ins Kodokan Dojo (Judohauptdojo) nach Tokyo, wo er den in Amerika bekannten und 1982 verstorbenen Budoka, Donn Draeger, traf. Draeger war erst vor kurzem aus der Armee entlassen worden. Steve wußte, dass dieser exzellente Budoka bei Meister Oyama trainiert hatte und japanisch sprechen konnte. Gemeinsam begaben sie sich nach Ikebukuro, in die Nähe der Rikkyo Universität zu Oyamas Dojo. Dieses war klein und schmutzig. Meister Oyama befand sich zu dieser Zeit gerade in Amerika. Draeger machte Arneil mit Meister Kurosaki bekannt, der während der Abwesenheit von Oyama das Training leitete. Steve wurde gesagt, das er absitzen und dem Training zuschauen soll. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas ähnliches gesehen. Die Disziplin und das Training waren extrem hart. Genau das war es, was er suchte. Am liebsten hätte er sofort mitgemacht, doch es wurde ihm untersagt. Zum Training bei Oyama müsse er eingeladen werden. Er dachte, das dies seine erste Lektion der Demut sei und konnte somit nicht vor der Rückkehr von Meister Oyama mit dem Training beginnen.

Teil 2

Meister Kurosaki erlaubte Steve aber, jeden Tag beim Training zuzusehen. So kam er täglich ins Dojo, wo er während sechs Monaten dem Training zusah. Nach jeder Lektion verließ er das Dojo, ohne dass jemand mit ihm gesprochen hätte, noch wurde seine Anwesenheit überhaupt erwähnt.

Eines Tages herrschte große Hektik im Dojo, – ein Mann trat ein. Er war eine sehr beeindruckende Erscheinung, und Steve wußte sofort, dass dies Meister Oyama war. Seine Manieren, seine Aura, der Respekt ihm gegenüber, die Aufregung, man konnte es in der Luft spüren. Meister Oyama erkundigte sich bei Meister Kurosaki, wer Arneil sei, und Kurosaki erzählte es ihm. Daraufhin wollte Oyama Donn Draeger sehen, welcher Oyama erklärte, dass Arneil von Afrika angereist sei, um bei ihm trainieren zu können. Oyama erklärte Arneil, wenn er beitreten wolle, müsse er tun, was ihm gesagt worden sei. Des weitern fragte Oyama, ob Steve in Japan in anderen Dojos Karate trainiert habe. Arneil antwortete, dass er bei JKA gewesen sei. Da erklärte Oyama, dass er Steve eine Weile nicht sehen wolle und er ihm bei den anderen Stilen viel Glück wünsche. Arneil konnte es kaum glauben, dass er jeden Tag, sechs Tage die Woche, da war, bereit mit dem Training zu beginnen, und nun wollte Oyama ihn nicht trainieren lassen.

Einmal mehr begab sich Arneil nun zuriick ins Dojo der JKA (Japan Karate Assoziation). Er fand das Shotokan-Karate nicht gut, es war auch nicht schlecht, es war einfach anders. Danach ging er zu Gogen Yamaguchi, dessen Training Steve gefiel, und Yamaguchi wollte, dass er sofort bei ihm anfange. Doch Arneil hatte sich gedanklich schon fürs Kyokushinkai entschieden. Dies war das Karate, das ihm zusagte.

Nach einigen Wochen kehrte er nach Ikebukuro zurück, wo er sich mit Meister Oyama traf. Oyama fragte ihn, ob er sich andere Stile angesehen und diese auch trainiert habe. Arneil bejahte dies, bemerkte aber, dass er sich ausschliesslich fürs Kyokushinkai entschieden habe. Daraufhin bekam er von Meister Oyama einen Gi, und er begann mit dem Training.

Alles, was er bei den anderen Trainings zuvor gelernt hatte, kam ihm jetzt zugute. Trotzdem musste er ganz von vorne beginnen. Stundenlang übte er Faustschläge, nichts als Faustschläge. Er war oft der Verzweiflung nahe und dachte sich, dass Oyama ihm gegenüber kein Interesse und VerantwortungsgefühI habe, – Oyama kritisierte nur. Eines Tages wurde Steve die Stellung Zen-kutsu-dachi gezeigt. Dies war für ihn ein Erlebnis, wie frischen Wind zu atmen. Die anderen Weissgurte und er arbeiteten nun mit einer ungeheuren Begeisterung.

Zu dieser Zeit trainierten ungefähr 50 Schüler im Dojo, und die Regeln waren klar. Arneils Aufgabe als Weissgurt lautete, jeden Morgen früh da zu sein und das Dojo zu reinigen. Auch die Toiletten mussten geputzt werden, wozu er die Hände nehmen und deshalb nach dieser Arbeit seine Fingernägel sehr gut reinigen musste. Der Boden des Dojos war sehr schlecht und vor jedem Training hiess es jeweils, die Nägel einzuschlagen Auch musste Arneil die Gis der Schwarzgurte mit nach Hause nehmen, um sie zu waschen Dafür gab es kein „Danke schön“ oder „gut gemacht“ – es wurde als selbstverständlich angesehen. War einmal ein Gi noch etwas schmutzig, bekam es die ganze Weissgurtklasse zu spüren….. härteres Training, Iänger bleiben und manchmal sogar Schläge mit dem Shinai (Bambusstock).

Zu dieser Zeit lebte Arneil in einem kleinen Zimmer in Aoyama, einige Meilen vom Dojo entfernt, welches gerade gross genug zum Essen und Schlafen war. Manchmal hatte Arneil Depressionen, da er völlig auf sich alleine gestellt war. Er konnte die Sprache nicht sprechen, und das Essen schmeckte ihm nicht. Alles war ein Kampf, sogar der Kauf eines Zugbillettes. Da alle Beschriftungen in Japanisch waren, musste er sehr schnell die Zeichen lernen. Das Leben war hart, und das Training eine grosse Herausforderung. Tausend Beinschläge an einem Abend zu machen, war nichts – , man dachte jedenfalls nicht darüber nach und erduldete es. Und jeden Tag wurde ungefähr eine Stunde gegen die Schwarzgurte gekämpft, wobei mancher Prügel einfing. Dies geschah nicht aus Bosheit, sondern einfach dem harten Charakter des Trainings entsprechend. Durch diesen Prozess lernte Arneil aber, sich zu verteidigen, schnell zurückzuschlagen und zu improvisieren.

Als er den 6. Kyu, den ersten Grad im damaligen System machte, war er immer noch Weissgurt. Dann absolvierte er den 5. Kyu (Gelbgurt), danach arbeitete er sich zum Grüngurt (4.+3. Kyu) hoch und schliesslich zum Braungurt (2.+1. Kyu). Er trainierte jeden Tag, morgens und nachmittags, fünf bis sechs Stunden im Tag, und dies über eineinhalb Jahre hinweg. Mit dem Geld, welches er auf den Schiffen in Südafrika gespart hatte, konnte er sich für diese Zeitspanne nur dem Training widmen. Der damalige Wechselkurs war gut, weshalb er viel Yen für sein Erspartes erhielt.

Dann war es endlich soweit, und er meldete sich für die Shodanprüfung (1. DAN) an, welche äusserst hart und schwer war. Doch bei Bekanntgabe der Resultate musste Steve feststellen, dass er durchgefallen war. Er hatte es nicht geschafft und fühlte sich niedergeschlagen und verschmäht. Er glaubte und sagte dies auch einigen Freunden, dass er nur durchgefallen sei, weil er ein Ausländer sei. Natürlich befand er sich im Irrtum. Und wenn er heute zurückschaut, so erscheint ihm dieser Entscheid richtig, weil er damals recht hochnäsig und undiszipliniert war. Das Wichtigste in seinem Leben war der Schwarzgurt – alles, was er je erreichen wollte. Doch wenn er damals den Schwarzgurt bekommen hätte, würde er Japan vermutlich verlassen haben und wäre nach Afrika zurückgekehrt. Dort hätte er geprahlt, welch grossartiger Junge er sei – ein Schwarzgurt!

Heute glaubt Arneil, das Kancho erkannte, dass er wohl körperlich, jedoch geistig noch nicht so weit gewesen war. Doch damals waren seine Einstellung und seine Gedanken auf dem Nullpunkt, da er eine Lektion bekam, die ihn aus der Fassung brachte. Er konnte es nicht glauben und ging zu den Instruktoren und fragte, ob er es nicht geschafft habe. Diese antworteten lediglich, dass er nicht auf der Liste sei. Da hoffte er, weil er ein Ausländer sei, werde er speziell erwähnt. Doch er redete sich das natürlich nur ein, um die aufkommende Niedergeschlagenheit zu bekämpfen. Nach langem Warten brachte er schliesslich genug Courage auf, um zu Kancho (Meister Oyamas Titel) zu gehen und ihn zu fragen, ob sein Name nicht auf der Liste sei. Oyama bejahte dies und schaute ihn nur an.

Da fühlte sich Arneil zurückgewiesen und war entschlossen, nach Hause zu gehen: zur Hölle mit dem Schicksal, all dem Geld und der Hingabe. Er war überzeugt, dass er zehnmal besser sei als der andere Schüler, der die Prüfung bestanden hatte. Für ca. eine Woche trainierte er nicht und war in einer sehr schlechten Verfassung, war er doch so von sich selbst überzeugt. Trotzdem ging er zurück und alle wussten, wie er sich fühlte. Doch in einem Kyokushinkai – Dojo wird nicht über Gefühle gesprochen, es wird trainiert.

Nach sechs Monaten fragte ihn Kancho, ob er nochmals zur Shodanprüfung gehen wolle. Doch Steve war sich nicht sicher, da sein Selbstvertrauen total zerstört war. Er bemerkte, dass er noch nicht bereit sei, woraufhin Oyama lachte und ihn ermunterte, es nochmals zu versuchen. In diesen sechs Monaten hatte Arneil viel über sich selbst gelernt: Bescheiden und menschlich zu sein, sich selbst nicht zu überschätzen und nicht zu denken, dass der Schwarzgurt alles sei. Aber auch nicht zu denken, dass der Schwarzgurt nichts sei, sondern nur ein Ding, welches man um den Bauch bindet. Er wurde in dieser Zeit ein erwachsener Mann.

Arneil machte die Prüfung nochmals und war überzeugt, sie nicht bestanden zu haben. Die Prüfung war sehr hart, genau so, wie sie heute von ihm abgenommen wird. Sie dauerte ununterbrochene fünf Stunden und beinhaltete Taktik, Theorie, Wissen, Erklärung, Kata, Grundschule, Kombinationen, Bruchtests und Freikampf. Es gab zwei Bruchtests: der Prüfling konnte eine Technik selbst wählen und der Experte bestimmte die andere Technik. Steve wählte damals den Mae-Geri (Vorwärtsfusstritt) und musste drei Bretter durchschlagen. Als Linkshänder sollte er die zweite Technik mit der rechten Faust ausführen. Er schlug sehr hart auf die Bretter, doch sie zerbrachen nicht, und er dachte sich, dass er nicht genug Kraft habe. Doch die Experten sagten ihm, dass er es nochmals versuchen solle, und er konnte fühlen, wie die anderen Schüler sagten: „Los, los, lass dich nicht gehen.“ Im Kyokushinkai ist man miteinander aussergewöhnlich stark verbunden und Arneil konnte diese Atmosphäre fühlen. Alle wollten, dass er es schaffte und es gelang ihm. Er schlug drei Bretter, die ein anderer Student hielt, durch. Trotzdem dachte er nach der Prüfung, dass er nochmals durchgefallen sei und fand sich damit ab. Als er in der folgenden Woche zurückkam, sah er seinen Namen auf der Liste.

Bereits vor der ersten Prüfung hatte er die Dreistigkeit besessen, einen Schwarzgurt zu kaufen. Doch als er nach erfolgreicher Prüfung nach Hause kam, sah er sich den Gurt an und traute sich kaum, ihn anzuziehen. Als er dann das Dojo betrat, fühlte er sich komisch und die Leute nannten ihn plötzlich Sempai (Senior). Es war ein schönes Gefühl, doch er fühlte sich sehr bescheiden. Drei Wochen später erhielt er von Kancho einen Schwarzgurt, den er noch heute besitzt. Oyama sagte ihm: „Trage ihn mit Stolz, aber vergiss nie, es ist nicht der Gurt, es ist der Mann, der ihn trägt, der zählt!“ Das war 1963.

Teil 3

Nichts anderes als Karate existierte für Arneil. Er kannte das Prüfungsprogramm für 2. und 3. DAN, es wurde nichts verheimlicht. Man lernte die höheren Techniken selbständig, aber man praktizierte sie nicht in einer Gruppe oder wenn der Instruktor da war – das gab es nicht. Wenn der Lehrer nicht da war, trainierte man höllisch, damit man es konnte, wenn er da war. Der Lehrer war lediglich dort um zu korrigieren und schauen, dass die Techniken sauber gemacht werden. Meister Arneil machte seinen Ni-Dan (2. DAN) im folgenden Jahr und nahm dann einen Job als Übersetzer bei einer Maschinenfabrik an. Das Geld, das er gespart hatte, war ihm ausgegangen und er musste für sich schauen. In dieser Zeit brachte er Robert Boulton, ein Judoka (der später mit Meister Arneil das Kyokushinkai nach Grossbritannien brachte und es heute in Australien unterichtet), zum Kyokushinkai. Meister Arneil wechselte die Anstellungen und wurde Sprachlehrer in Banken, Schulen und verschieden Instituten. Während dieser Berufsausübung lernte er seine Frau Tsuyoko kennen, mit welcher er drei Kinder, Stephen, Firyal und Paul hat. Sie leben heute im Londoner Stadtteil Wimbledon. Alle Kinder machten Karate und der älteste Sohn, Stephen, ist Shodan (1. DAN).

Arneil sprach in einer Filmgesellschaft vor und sagte, dass er gerne in Filmen mitmachen würde. Als er gefiagt wurde, ob er schon in Filmen mitgespielt habe – wer hungrig ist und kein Geld hat, ist in allem Experte – sagte er, sicherlich habe er schon als Darsteller gearbeitet (was natürlich nicht stimmte), so kam es zu Probeaufnahmen. Das war bei der Toei Filmgesellschaft. In seinem ersten Film musste er einen deutschen Soldaten darstellen. Bei sechzig Filmen machte er mit, in zwei davon als Hauptdarsteller. Der erste hiess „The Big Fight Over The Sand Hill“. Es war ein Karatefilm, in welchem er einen bösen Mongolen darstellen musste. Sein Gegner, der Gute, war Tetsuro Tamba, der im James Bondfilm von 1967 den japanischen Geheimdienstchef darstellte – Tamba musste ihn auf einem Sandhügel mit einem Handkantenschlag übers Gesicht töten, sehr zum Vergnügen des japanischen Publikums. Im anderen Film spielte er einen Kapitän in einem Boot, welches einen Japaner, der in einem kleinen, offenen Boot von Japan nach Amerika unterwegs war, fand. Der Film war nach einer wahren Geschichte gedreht worden. Sein Künstlername war Steve Manson und die Gage war gut.

Im Frühjahr 1965 fragte ihn Kancho, ob er den Hundertmannkampf machen wolle. Er antwortete ihm, nein, nein er denke, er sei weder gross noch stark genug. Kancho antwortete ihm, dass er es sei. Das Ziel dieses Testes sei es, herauszufinden, ob er die nötige Kapazität und den Charakter habe, hundert Männer, einer nach dem anderen, ohne Pause zu kämpfen. Nachdem er die Herausforderung angenommen hatte, begann er mit dem speziellen Training, sehr speziellen Training – Springen, Ausdauertraining wie Seilhüpfen, Gewichtstraining, Sacktraining und speziellem Kampftraining. Kancho sagte ihm, dass er ihm das Datum nicht nennen werde, aber er werde ihn beobachten, führen und trainieren. An einem Sonntagmorgen begab er sich zum Training. Es befand sich jedoch niemand, wie üblicherweise, in den Umkleidekabinen. Er zog sich um und trat ins Dojo, dort warteten alle auf ihn. Einhundert Japaner, die meisten waren Schwarzgurte, einige wenige Braungurte. Das war am 21. Mai 1965 und Meister Arneil war der erste, der diese Herausforderung angenommen hatte. Noch keiner hatte dies bis zu dem Datum getan.

Meister Oyama erklärte, wenn er länger als fünf Sekunden Kampfunfähig sei, er den Test nichtbestanden habe, auch wenn dies beim letzten Kampf der Fall sein sollte. Tritte ins Gesicht und zum Geschlechtsteil waren erlaubt. Der erste Gegner kam und er kämpfte und weiter und weiter. Sein Ziel war es, den Gegner so schnell als möglich auszuschalten, so dass er seine Kraft sparen konnte. Er schlug viele nieder und wurde selbst auch einige Male niedergeschlagen, doch konnte er immer innerhalb der Zeit wieder aufstehen. Zweidreiviertel Stunden dauerte der Test und die härtesten Kämpfe waren am Schluss gegen die höchst Gradierten. Zum Schluss klatschten alle und waren fröhlich. Arneil war voller blauer Flecken und sah wie ein Leopard aus. Er hatte Verletzungen, aber keine, die gravierend waren. In den letzten zwanzig Jahren haben nur sechs andere Männer diesen Test erfolgreich bestanden. Es sind dies Tadashi Nakamura (1965), Shigeru Oyama (1967), Loek Hollander (1967), John Jarvis (1967), Howard Collins (1972) und Mikiu Miura (1973). Zwei davon, Jarvis und Collins, welche heute in Neuseeland und Schweden unterrichten, sind Meister Arneils Schüler.

Kurz nachdem Meister Arneil den Hundertmannkampf bestanden hatte, bekam er den 3. DAN. Für die Grade danach wird man aufgrund der angeeigneten Erfahrung, dem Wissen und dem Fortsetzen des Trainings vorgeschlagen. 1965 begab er sich mit seiner Frau auf den Weg nach Afrika. Doch dann fragte ihn Kancho, ob er bereit sei, nach Grossbritannien zu gehen. Bob Boulton, 2. DAN, war zu diesem Zeitpunkt dort, welcher ihm half, Britisch Karate Kyokushinkai (BKK) aufzubauen. 1966 erhielt er seinen 4. DAN zugesprochen.

1966 wurde Arneil als Trainer und Coach für das Britische Allstilteam gewählt. Diese Funktionhatte er bis 1975. Sie gewannen einige Europameisterschaften, aber das grösste war die Weltmeisterschaft, die 1975 in Long Beach, Kalifornien, durchgeführt wurde. Nach diesem Erlebnis
trat er zurück. Er fühlte, dass er seine Pflicht getan und sein Bestes gegeben hatte, so dass Grossbritannien als gutes Karateland dastand. Diese Mannschaftsweltmeisterschaft fand am 04.
Oktober statt. In der ersten Runde hatten sie eine Freilos und in der zweiten besiegten sie Belgien. In der dritten Runde traf man auf die zähen Südafrikaner, doch Grossbritannien gewann 2:0 und traf nun im Halbfinal auf die Philippinen. Grossbritannien gewann auch diese Begegnung mit 2: 1 und traf auf Japan, welche zuvor die Holländer besiegt hatten. Um genau 22.30 Uhr stellten sich die beiden Mannschaften zur Entscheidung, die Besten der Welt, auf. Das letzte Mal, als sich die beiden Mannschaften trafen, war 1972 an einer Meisterschaft in Paris, wo Grossbritannien gewann. Meister Arneil erinnerte sich, dass sie das erste europäische Team waren, das damals die Japaner schlug. Meister Kanazawa war damals der Trainer und Coach.

Zurück zum Final im Jahre 1975. Der Captain der Mannschaft, Billy Higgins, traf auf Yonimitsu. Beide Kämpfer waren begreiflicherweise sehr vorsichtig, aber Higgins griff an und konnte sich einen Punkt mit einem Chudan-Gyaku-Tsuki holen. Yonimitsu konnte kurz vor Kampfende mit derselben Technik ausgleichen. Die Entscheidung des Schiedsrichters, des bekannten Australiers Frank Novak, war unentschieden. Brian Fitkin war der nächste, er traf auf Ono. Der Japaner erzielte mit einem Mae-Geri einen Punkt. Den folgenden Angriff von Fitkin konterte er mit einem Chudan-Gyaku-Tsuki und gewann den Kampf. Gene Dunett besiegte Hamaguchi mit zwei Chudan-Gyaku-Tsuki und so war die Begegnung wieder ausgeglichen. Eugene Codrington konnte seine Iängere Reichweite gegen Tsuchiya ausnutzen und holte sich mit Gyaku-Tsuki zur Brust einen Punkt gegen ihn.

Obwohl Grossbntannien 2 zu 1 führte, war der letzte Kampf entscheidend. Wenn der SchotteHamish Adamy mit einem Ippon (voller Punkt) gegen Murakami, den besten japanischen Kämpfer, verlieren würde, so wäre Japan der Gewinner. Wenn er mit einem Wazari (halber Punkt) verlieren würde, so wäre wieder ausgeglichen. Was durch Brian Hammond als die Iängsten zwei Minuten in der Geschichte des Britischen Karates beschrieben wurde, endete in einem punktlosen Unentschieden. Der Jubel der Anwesenden war unglaublich gross. Dem Captain der Mannschaft, Billy Higgins, wurde vom Präsident der WUKO (World Union of Karate Organisation) Ryoichi Sasagawa, eine riesige Trophäe überreicht. Nach etwa einer Stunde posieren für die Fotografen, begab sich das Team und die Leute die es unterstützt hatte zurück ins Hotel, wo sie assen und feierten.

Mannschaftsmitglied Terry O‘Neill, Herausgeber des Magazins „Fighting Arts International“sagte, dass Meister Arneil über eine Zeitspanne von 10 Jahren eine enorme Zeit und Energie
investierte, damit Grossbritannien die Nummer eins in der Karatewelt werden konnte.

Nach dem Weltmeisterschaftsgewinn wurde Arneil in Frankreich der Titel „Bester Coach derWelt“ übergeben. Er fühlte, dass dies etwas Schönes war und schätzte es sehr. Mr. Delcourt
gab ihm in Anwesenheit vieler Leute an einem Turnier in Paris die Auszeichnung, die heute
noch in seiner Wohnung aufgehängt ist. Allerdings war er immer ein bisschen traurig darüber,
dass er diese Auszeichnung nicht durch die Britische Organisation erhielt. Seit 1975 gewannen
die Briten die Weltmeisterschaft noch zweimal. Dies unter der Betreuung von David Donovan,
welcher bis zum 2. DAN ein Schüler von Meister Arneil war.

1968 wurde Meister Arneil der 5. DAN verliehen. Wann genau er den 6. DAN erhielt, kann ernicht mehr sagen. Im August 1977 wurde ihm im Honbu Dojo in Japan der 7. DAN von Meister Oyama verliehen.

Arneil ist jedoch kein Mann, der sich auf solchen Auszeichnungen ausruht, er macht Karateund sagte, es kommt alles wie es kommen muss. Er wurde gefragt, ob er eines Tages gerne 8.
DAN wäre. Er antwortete, nicht unbedingt, doch wenn es zu seinem Weg gehöre, so kommt es
von selbst. Der 8. DAN würde nichts an seiner Haltung gegenüber dem Karate ändern, es wäre
nur eine noch grössere Verantwortung, Person bleibe man immer dieselbe. Zum Thema über
die Grade führt er aus, dass es in Grossbritannien keine ehrenhalber verliehenen Grade gebe. Es
verletzt ihn sehr, wenn er wisse, dass eine Person seine Seele raustrainiert um einen Dangrad
zu erreichen und eine andere Person, nur weil sie berühmt ist, den 5. oder 6. DAN ehrenhalber
verliehen bekomme. Er denke, dass dies falsch sei. Dies sei seine eigene Meinung dazu. Wenn
jemand etwas Gutes fur den Sport getan habe und man wolle dies würdigen, so schreibe man einen Brief, gebe eine Medaille und danke auf diese Weise für die harte Arbeit, die getan wurde. Obwohl Arneil gegen diese DAN-Verleihungen ist, wird es im Kyokushinkai so gehandhabt. Es lag nicht an Arneil, Kancho, der über ihm stand, danach zu fragen. Er respektierte ihn und die Ehrengrade die er verliehen hatte, aber persönlich würde er das nicht machen, was aber nicht heisst, dass er seinen Lehrern gegenüber respektlos ist.

Teil 4

Seit 1975 fördert Arneil nur noch das Kyokushinkai. Diese Organisation ist glaubwürdig, man bringt ihr Respekt entgegen und sie ist gut organisiert. Zur Zeit gibt es in Grossbritannien 75 Clubs mit etwa 6’000 registrierten Schülern. Meister Arneil hat Clubs in Wimbledon, Crawley, Hastings, Eastburne, Crystal Palace und zusätzlich in ganz Europa. Er ist nationaler und internationaler Schiedsrichter und wird weltweit respektiert. Auch unterrichtete er verschiedentlich die Mitglieder der Königlichen Familie von Jordanien, sogar König Hussain und Prinz Mohamed, welcher Ehrenpräsident des BKK ist. Die beiden erwähnten Männer wurden von Meister Arneil zum Shodan gradiert, wobei sie nicht anders trainierten als die anderen Schüler im Kyokushinkai.

Durch die Grösse des BKK (British Karate Kyokushinkai) und die weltweite Umspannung des Kyokushinkai kam man mit Meister Arneil auch betreffend Geld ins Gespräch. Im Bezug auf den BKK und sich selbst erklärte er, dass Karate ohne Geld nicht existieren und man ohne Karate kein Geld haben könne. Er ist der Meinung, dass sich beides im Gleichgewicht halten sollte. Man könne nicht viel Geld und einen schlechten Ruf im Karate haben – dann handle es sich nur noch ums Geschäft, was leider zum Teil auch in Grossbritannien geschehe und sehr schlecht sei. Aber gleichzeitig könne man mit Karate alleine auch nicht überleben. Man benötige immer Finanzen, um eine Organisation zu betreiben, einen Vorstand zu bilden und Sitzungen abzuhalten. Wenn Kämpfer ins Ausland gehen, sollten sie einheitlich gekleidet sein und in einem Hotel wohnen können. Zudem kommen die Kosten für die ärztlichen Untersuche und dessen Utensilien – im BKK haben die Arztutensilien einen Wert von über £ 4’000.–

Der Reingewinn aus Turnieren wird dazu benutzt, Gratis-Kurse etc. durchzuführen. Um die Kommunikation mit allen Dojos aufrecht zu erhalten, wurde eine vollamtliche Sekretärin eingestellt. Wenn es nach Arneil ginge, würde er seine Kurse gerne gratis durchführen. Doch dies sei nicht möglich, da man realistisch bleiben müsse. Schliesslich seien die Hallen und Instruktoren etc. zu bezahlen. Geld sei also kein grosser Faktor, sollte aber in jedem Falle mit gutem und ehrlichem Karate ausgeglichen werden.

Meister Oyama schrieb in seinem Buch „The Kyokushinkai Way“, dass ein der Kampfkunst wirklich Ergebener ein Amateur sein sollte. Meister Arneil wurde gefragt, wie er diese Aussage mit sich selbst als professionellen Instruktor in Einklang bringe. Er erwiderte, dass seine Organisation wohl professionell sei, seine Mitglieder jedoch alle Amateure seien. Er selbst sei nur aus dem Grund Profi, weil ihm der Arbeitsaufwand nicht erlaube, einen weiteren Beruf auszuüben. Dies sei in seiner Position schlichtweg unmöglich.

Arneil bekam auch Bestechungsbriefe von Personen, welche ihm viel Geld zahlen wollten, nur damit er seine Unterschrift auf ein Diplom setze. Einige der Briefe beantwortete er, andere hingegen nicht. Wer in seinem Grade korrupt werden wolle, könne dies problemlos. Wenn er dies aber tun und die Grade verschenken würde, wäre für ihn die Zeit gekommen, um zurückzutreten. So könne ein gerechtes System nicht mehr funktionieren. Wenn einer seiner Schüler Schwarzgurt wird, macht er diesen auf die drei kommenden Gefahren aufmerksam: Geld, Gier und Macht. Diese Gefahren solle man klar vor Augen haben und ihnen vorsichtig gegenübertreten. Wenn man damit nicht umgehen könne, stürze man ins Unglück. Während der letzten 21 Jahre vefielen nur vier Leute des BKK diesen Lastern. Sie sind heute nicht mehr dabei, was gut ist. Heute ist alles nach Geld orientiert, was die Leute realisieren und dann in Panik versetzt. Sie glauben, es sei besser, jetzt das grosse Geld zu machen, vielleicht gebe es später keine Möglichkeit mehr dazu.

Doch Arneil macht sich deswegen keine Sorgen, er leidet nicht unter diesem Komplex. Er hatte unglaublich viele Angebote aus Amerika, um dort zu unterrichten. Diese Leute wollten ihm viel bezahlen, aber nichts fürs Kyokushinkai tun. Er würde heute finanziell hundertmal besser dastehen, wenn er diese Angebote ausgenutzt hätte. Doch er schuldet seinen Schülern in Grossbritannien sehr viel und diese sind ihm gegenüber immer loyal. Dies kommt daher, dass er seine Schüler als Menschen und nicht als Nummern sieht. Im Kyokushinkai ist man untereinander sehr stark verbunden. Es sind auch schon Leute von auswärts gekommen und haben ihn gefragt, warum er nicht ein eigenes, grosses Dojo habe, er unterrichte ja nur in Schulen und im Crystal Palace? Darauf erwiderte er, dass er die Wahl hatte, ein eigenes, grosses Dojo zu haben oder in einer wundervollen Organisation mit vielen Menschen zu arbeiten. Er habe letzteres gewählt, weil es ihm wichtiger erschienen sei und ihn glücklicher gemacht habe. Natürlich wäre es schön, ein eigenes, grosses Dojo zu haben und der grosse Steve Arneil zu sein. Doch das könne er sich nicht leisten….. Zudem habe er ja ein grosses Dojo, welches Grossbritannien heisse.

Arneil trainiert jeden Tag zusammen mit seinen Schülern, wobei er mit ihnen in einer Linie steht. Am Nachmittag und manchmal auch am Morgen trainiert er für sich selbst, um zu dehnen und Teilbereiche einzustudieren. Täglich trainiert er vier bis fünf Stunden. Zusätzlich kommt noch das Makiwaratraining. In Crawley hat Arneil ein kleines, schönes Dojo, ohne jeglichen Luxus. Dort trainiert er gerne einige Stunden und versucht, seine eigenen Fehler auszubessern. Es schleichen sich immer wieder kleine Fehler ein, und Arneil ist froh, wenn ihn einer seiner Instruktoren darauf aufmerksam macht. Er erwartet dies sogar von seinen Instruktoren, da auch er nur ein Mensch und kein Computer ist. So ist er auch nie beleidigt, wenn ihm ein Schüler sagt, dass er einen Fehler gemacht habe. So hat ihn z. B. ein Instruktor (unter vier Augen) darauf aufmerksam gemacht, dass er beim Faustschlag den Ellbogen seitlich rausdrückt. Arneil erwiderte: „Mache ich das?“ und prüfte seine Faustschläge im Spiegel, wo er die Aussage bestätigt fand. So muss auch Arneil immer wieder üben, denn auch er ist kein Gott. Auch er macht seine Fehler. Er lehrt seine Schüler alles, was er kann und es ist ihm dann ein Vergnügen, von ihnen verbessert zu werden. Er zieht sich nicht zurück und denkt, dass er sowieso alles perfekt beherrsche.

Bei Demonstrationen zeigt er vielfach eine Kata. Seine Lieblingskata ist übrigens die Seienchin. Im Crystal Palace lief er einmal die Tensho-Kata und machte dabei einen Fehler. Mit der ganzen Organisation beschäftigt und den Kopf voller Dinge ging er zur Demonstration und wusste nicht mehr, mit welcher Hand man beginnt. Der Fehler wurde auf Video aufgezeichnet. Und Arneil erklärte später seinen Schülern, dass dies nicht die Art sei, wie man die Tensho Iaufe. Als er einmal zu Kancho sagte, dass dieser etwas falsch gemacht habe, erwiderte Kancho: „Oh, ich werde älter.“ Es ist also keineswegs eine Schande, Fehler zu machen, und man verliert dabei auch nicht an Respekt. Es geht vielmehr darum, einander zu helfen, sich die Fehler nicht vorzuwerfen und damit die Schüler zu klassieren. Im Kyokushinkai werden alle wie Menschen behandelt, und keiner täuscht dem anderen etwas vor.

Kancho war ein sehr bescheidener Mann, sehr nett und grosszügig. Er bezahlte z. B. die Hochzeit von Meister Arneil.

So sah man auch, dass Kancho ein Training unterbrach, um sich den kleinen Finger eines Schülers, der sich verletzt hatte, anzusehen. Kancho hatte einen ausgeprägten Charakter und war sehr diszipliniert. Wenn er sagte: „Spring“, dann sprang man. Gelegentlich wurde er auch imitiert, was eine Art Liebe und Respekt ihm gegenüber war. Als Arneil eines Tages seine rechte Hand im Dojo war, befahl er den Schülern: „Aufstellen, aufstellen“ in einer Art, wie es Kancho jeweils machte. Alle lachten darüber, doch plötzlich wurde es still. Kancho stand hinter Arneil, sagte aber nichts und schaute eine Weile zu. Dann sagte er zu Arneil, dass er noch viel üben müsse, um in seine Fussstapfen zu treten.

Arneil sah Kancho Dinge tun, von denen sonst niemand weiss. Er wusste, dass man sich zwischen zwei Welten befand. Einerseits musste die Tradition gewahrt werden und andererseits musste man sich finanziell über Wasser halten. Als Arneil noch in Japan war, ging er eines Tages zu Kancho und bemerkte, dass er sich nicht gut und schwach fühlte. Auf die Frage nach dem Warum erwiderte er, dass er in letzter Zeit nicht genügend zu essen bekommen habe. Darauf erklärte ihm Kancho, dass dies nicht sein Problem sei. Er lehre ihn lediglich Karate, und es sei nicht sein Job, ihm Geld dafür zu geben oder ihn gar zu füttern. Heutzutage kann man das einem Schüler nicht mehr so sagen. Doch es gibt Dinge, die man erlebt haben muss, da man sie sonst nicht glauben würde. Arneil sah viel hinter die Kulissen und erlebte auch immer wieder die aussergewöhnliche Kraft, mit der Kancho die Leute antrieb.

In Japan sind die Sommer- und speziell die Wintercamps sehr hart. Im Winter wird im Schnee und unter Wasserfällen trainiert, wozu das Eis durchbrochen wird. Arneil kann sich heute noch nicht erklären, dass dabei niemand einen Herzinfarkt erlitt. Doch Kancho konnte alle immer sehr gut motivieren.

Teil 5

Arneil glaubte nicht, dass jemand anders dasselbe tun könne, was Kancho vermochte. Sie schlugen die Flaschenhälse mit der Handkante ab – er schlug den mittleren Teil einer Flasche mit einem Handflächenschlag raus. Nach dem Schlag stand die Flasche immer noch da, das Bier rann raus und Kancho stand mit dem rausgeschlagenen Mittelteil in der Hand da! Das ganze wurde photographiert und ist somit bewiesen. Denn im Kyokushinkai erzählt man nichts, solange es nicht bewiesen ist. Etwas anderes, was Kancho tat, war ein Brett zwischen den Köpfen von 2 Schülern zu brechen. Das Brett hatte die Masse von vier Zoll (2.54 cm) Dicke, vier Zoll Breite und ungefähr drei Fuss Länge. Diese Vorstellung war sehr eindrucksvoll. Sie knieten nieder und er legte das Holzstück auf ihre Köpfe. Auch Arneil wurde einmal zum Hinknien aufgerufen: Er war absolut versteinert. Er dachte, dass er sich nun das Genick breche. Kancho liess seine Hand im Gi, konzentrierte sich auf das Holz und fragte seine Schüler, ob sie bereit seien. Er zerbrach das Holz mit seiner Handkante. Man fühlte nur einen dumpfen Druck auf dem Kopf, das war alles.

Weiter konnte Oyama aufgeblasene Ballons, die frei herunterschwebten, mit einem Schlag zerplatzen lassen. Er blies die Ballone vor den Leuten auf, so dass man sah, dass es kein Trick war. Zudem zeigte er seinen Schülern seine Knöchel, und sie konnten sie abtasten. Da waren keine Nadeln oder scharfen Gegenstände. Arneil selbst versuchte es, bis er blau im Gesicht war; es gelang ihm nicht.

Auch schaffte es Oyama, ein Papier mit dem Rückzug eines Faustschlages mitzuziehen. Man hängt dazu ein Schreibpapier an zwei Schnüre und schlägt in Richtung Wand. Der Luftdruck erfasst das Papier und stösst es zur Wand, aber man muss genau und korrekt schlagen. Kancho schlug zum Papier, welches sich beugte, und als er die Faust zurückzog, wurde das Papier vom Sog zurückgezogen. Als Arneil dasselbe mehrmals versuchte, scheiterte er und seine Arme schmerzten ihn so, dass er sie am nächsten Tag kaum noch bewegen konnte.

Arneil sah vieles, was Kancho tat, unter anderem auch, wie dieser mit einem Faustschlag eine Kerze zum Erlöschen brachte. Oyama sagte, wenn man zehn von zehn Kerzen auf diese Art löschen könne, habe man einen guten Gyaku-Tsuki. Meister Arneil gelang dies. Doch als er es neulich wieder versuchte, schaffte er nur noch zwei von zehn Kerzen.

Kancho war schon zu Lebzeiten eine Legende. Ohne respektlos gegenüber anderen Meistern zu sein, denkt Arneil, dass keiner im Bruchtest so gut war wie Oyama. Kancho war kein brillanter Kataläufer, vielleicht gab es darin bessere Meister. Die Art des Knochenbaus und der Statur eines Kataläufers lassen eine Kata unterschiedlich aussehen. Ein grosser Mann kann eine Kata stark ausführen, wobei ein leichterer geschmeidiger aussieht. Arneil ist jedoch überzeugt, dass Kancho im richtigen Kampf der Beste war.

Arneil sah und traf viele andere Meister, von denen er denkt, dass sie phantastisch sind. Er fühlte, dass jeder davon etwas Spezielles, Eigenes hat. Über einige hörte er aber verblüffende Geschichten, z.B. dass sie ihre Nukite (Fingerspitzen) in die solide Erde schlagen könnten. Oder Harada Sensei könne einen Fauststoss in Richtung einer Türe ausführen. Auf der anderen Seite stehe eine Person, die den Schock, der den Körper treffe, spüre, und dies, ohne die Türe zu berühren. Einige Leute versetzt dies in Staunen. Wenn ein Meister diese Dinge wirklich vollbringen kann, findet Arneil dies phantastisch. Doch lieber möchte er die Erfahrung selbst machen und das Erzählte mit eigenen Augen sehen. Unglücklichenveise gibt es immer wieder Leute, die Geschichten über ihre Lehrer aufbauschen. Es gibt ein Beispiel, das Arneil immer wieder erzählt: Im Fernsehen sah man Kurosaki-Sensei vier Ziegelsteine mit einem Kopfschlag zerbrechen, was ein guter Bruchtest war. Einige Wochen später hörte er, dass die Ziegelsteine mit Stahl verstärkt gewesen seien, was sicherlich nicht zutraf. Auch wurde erzählt, dass es sich dabei um Backofensteine gehandelt haben soll. Diese kann man jedoch nicht mal mit einem Hammer zertrümmern. Arneil fragt sich, wie solche Geschichten entstehen.

Hingegen sah er selbst, dass Kancho einer sitzenden Person einen Finger leicht auf die Stirne drückte und diese nicht mehr in der Lage war, aufzustehen. Er erkundigte sich viele Male, wie Oyama das mache und bat sogar dessen Frau, ihn danach zu fragen. Doch Oyama erwiderte jeweils, dass er dazu noch nicht bereit sei und noch viel lernen müsse.

Zudem sah er, wie Oyama einem Stier das Horn wegschlug. Insgesamt tötete er drei Stiere. Dem ersten wich Oyama mit einem Seitwärtsschritt aus und schlug ihm aufs Herz. Den zweiten traf er mit einem Schlag am Kopf, was eine tödliche Hirnerschütterung zur Folge hatte. Wie er den dritten tötete, hat Oyama nie erzählt. Ursprünglich ist Karate ein Weg des Friedens. Es handelte sich ausschliesslich um Tiere, die sowieso geschlachtet werden sollten. Oyama wollte dabei die Effizienz seiner Techniken testen und war jeweils unbewaffnet. Ab und zu zweifelte Arneil die Richtigkeit solcher Tests an. Waren sie nötig, nachdem Oyama 18 Monate in der Isolation gelebt hatte? Während der Zeit, die Oyama alleine in den Bergen verbracht hatte, schlug er täglich auf die gleiche Tanne ein, welche dadurch abstarb.

Wie gesagt, Oyama war schon zu Lebzeiten eine Legende, was bei anderen Instruktoren verschiedener Stilarten zu leichter Eifersucht führte. Oyama hingegen verlor nie ein schlechtes Wort über jemanden in der Kampfsportszene.

Kyokushinkai ist hartes Karate, welches nur von speziellen Personen über Iängere Zeit trainiert wird. Es eignet sich nur für Leute, die hart und diszipliniert trainieren. Es ist eine robuste und aggressive Karateform. Es beinhaltet aber auch ruhige und vornehme Teile. Im Kyokushinkai lernt man reelles Kämpfen und einander akzeptieren, ohne auf Rasse und Religion zu achten.

Auch im Dojo von Arneil trainieren Leute verschiedener Nationen mit verschiedenem Glauben. Doch es zählt nur eines: Kyokushinkai! So tragen alle Personen, ob Doktor, Anwalt oder Handwerker, dasselbe Gi und sind somit dasselbe – Karatekas.

Teil 6

Kyokushinkai ist berühmt für seine spektakulären Bruchtests. Jemand, der nicht mit Kyokushinkai vertraut ist, staunt über derartige Demonstrationen, z. B. das Zerschlagen eines Baseballschlägers mit dem Schienbein. Dabei muss man sich sicher sein, dass man den Schläger auch entzweit, ansonsten man eine emsthafte Verletzung riskiert. Als gutes Training für solche Bruchtests erweist sich ein ausgiebiges Üben am Makiwara und Liegestützen auf den Fäusten. Beim Brechen geht die Technik durch den Ellbogen in die Hand. Der sicherste Weg, um Bruchtests zu erlernen, sind Techniken, bei denen man von oben nach unten schlägt, so z. B. mit der Faust, der Handkante, dem Ellbogen oder der Ferse. Am besten eignen sich Tannenholz oder Dachziegel. Der Rekord mit einem Handkantenschlag liegt bei 12 aufeinander gelegten Brettern, was eine Dicke von 30 cm ausmacht. Eine weitere Möglichkeit des Bruchtests ist diejenige, bei welcher die Gegenstände durch Schüler gehalten werden. Die schwierigste Variante aber ist, wenn der Gegenstand an Schnüren aufgehängt und somit frei hängend zerbrochen wird. Diese Art des Bruchtests ist nur möglich, wenn die nötige Geschwindigkeit, Genauigkeit, Kraft und korrekte Technik zusammenwirken. Der härteste Bruchtest, den Arneil jemals ausgeführt hat, ist das Zerbrechen von 30 Dachziegeln mit dem Kopf. Ohne spezielles Training seiner Nackenmuskeln wären solche Bruchtests mit dem Kopf, die er früher öfters demonstrierte, nicht möglich gewesen.

Die Dinge im Leben ändern sich, und Arneil weist darauf hin, dass mit zunehmendem Alter nicht mehr alles so geht, wie dies in jüngeren Jahren der Fall war. So erfordert z. B. das Dehnen im Alter viel mehr Aufmerksamkeit und Training. Für Arneil ist es eine Befriedigung, zu sehen, dass seine Schüler das Karate besser beherrschen als er selbst in jungen Jahren. Dies zeigt ihm, dass er seine Arbeit gut gemacht hat. Beim Älterwerden verliert man wohl an Geschwindigkeit, nicht aber an Intelligenz. Er ist überzeugt, dass er einem 25jährigen 3. DAN noch einen ausgezeichneten Kampf liefern kann. Obwohl der jüngere Gegner körperlich die besseren Voraussetzungen aufweist, kann Arneil dies mit seinem Wissen und seiner Erfahrung ausgleichen. Trotzdem ist sich Arneil darüber im klaren, dass er heute keine Turniere mehr gewinnen kann. Hingegen ist es ihm noch lange vergönnt, seine Schüler zu unterrichten, denn es gibt immer viel zu lernen.

Im Kyokushinkai nennt man einen Schüler, der noch keinen Schwarzgurt trägt, Kohai. Wer den 1. oder 2. DAN erreicht hat, wird Sempai (Senior) genannt. Für den 3. und 4. DAN erhält man den Namen Sensei (Meister/Lehrer). Ab 5. DAN trägt man den Grad eines Shihan, was übersetzt soviel wie Lehrer der Lehrer bedeutet. Arneil erklärt, dass die verschiedenen Grade mit ihrem Namen angesprochen werden sollen. So z. B. Osu, Sensei …….

Da Kyokushinkai auf der ganzen Welt verbreitet ist, kann ein Schüler jederzeit in einem anderen Land trainieren. Arneil gibt seinen Schülern jeweils ein Schreiben mit, damit diese ohne Probleme in jedem Kyokushinkai-Dojo trainieren können.

Als Arneil nach Europa kam, musste er seine Tainingsgestaltung umstellen. Da seine Schüler direkt nach der Arbeit ins Training kommen und zudem teilweise eine Familie haben, kann er von ihnen nicht dasselbe verlangen, wie es von ihm in Japan verlangt worden war. Dort war es am Sonntag üblich, dass er am Morgen ins Training ging. Seiner Frau sagte er, dass er am Mittag zurückkomme. Im Training erfuhren sie dann von Oyama, dass keiner vor Montag Morgen wieder aus dem Training entlassen werde. Eine Trainingseinheit wurde jeweils mit Mokuso beendet. Dabei ist es auch schon geschehen, dass sie in Japan bis zu fünf Stunden im Seiza sassen. Da niemand wusste, ob Oyama die Schüler beobachtete, traute sich auch niemand, sich zu bewegen. Es gehört heute noch im Sommerlager zur Tradition, dass man nach einem Nachttraining für eine Stunde im Seiza sitzen bleibt. Dabei verliert man jegliches Zeitgefühl sowie das Gefühl in den Beinen und Füssen. Die Schüler versuchen danach aufzustehen, was oft nicht gleich gelingt. Diese Übung dient der Disziplin und dem Zusammengehörigkeitsgefühl. Ist es einem Schüler nicht mehr möglich, im Seiza zu sitzen, kann er seine Stellung zum „Schneidersitz“ mit geradem Rücken ändern. Als Arneil in Japan weilte, musste er diese Übung einmal sieben Stunden mit sechs anderen Schülern vor einem Tempel machen. Zwei davon hielten es nicht durch, dafür schafften es drei Frauen mit ihm zusammen. Wichtig dabei ist es, die lange Zeit zu überwinden und den Schmerz zu unterdrücken. Man ist versucht, die Augen zu öffnen, um nach den Dingen zu sehen, die man sonst nicht hört und wahrnimmt. Doch die Augen müssen geschlossen bleiben.

Im Kyokushinkai haben die Katas eine grosse Bedeutung. Arneil ärgert sich immer wieder, wenn Kyokushinkai-Karatekas als Schläger bezeichnet werden, die sich nur schlagen und Gegenstände zertrümmern. Die Abläufe der Katas sind genau vorgeschrieben und beinhalten den geistigen Hintergrund dieser Kampfkunst. Zudem gibt es für höhere Braun- und Schwarzgurte eine weitere Steigerung des Schwierigkeitsgrades, indem die Katas in „Ura“ gelaufen werden. Die Bewegungsabläufe werden in Rückwärtsdrehungen ausgeführt. Die letzte Steigerung ist die Mischung zwischen herkömmlichem und „Ura“-Laufen. Die meisten Bewegungen in der Kata haben eine Selbstverteidigungsbedeutung.

Aus diesem Grunde unterscheiden sich die Kyokushinkai-Katas von denjenigen anderer Stilarten. Allerdings ist es falsch zu glauben, dass man, wie in Karatedemonstrationen oft gezeigt, gleichzeitig gegen mehrere Gegner kämpfen kann. Auf der Strasse greifen die Gegner nicht nacheinander, sondern gleichzeitig miteinander an. Arneil selbst vertritt die Meinung, dass man gleichzeitig nur mit einem Gegner kämpfen kann. Diese Meinung vertreten auch andere, hochgradierte Meister. Die alten Meister fügten die verschiedenen Selbstverteidigungstechniken zusammen, wodurch genau definierte Bewegungsabläufe entstanden sind, welche sie ihren Schülern beibrachten – die Katas.

Als Arneil mit dem Kämpfen begann, war im Dojo noch alles erlaubt. Dies ist auch der Grund, weshalb er einen Plastikeinsatz in der Nase trägt! Zu dieser Zeit waren Schläge in die Geschlechtsteile und das Gesicht erlaubt. Doch Oyama musste dann feststellen, dass es zu viele Verletzungen gab und zu viel Blut floss. Aus diesem Grund beschloss er, die heutigen Kampfregeln einzuführen. Heutzutage wird mit der Faust nicht mehr ins Gesicht geschlagen. Hingegen sind Beinschläge ins Gesicht erlaubt, da die Zeitspanne zwischen Schlagbeginn und Treffer grösser und eine Reaktion zur Abwehr möglich ist. Da der Schlag zum Geschlechtsteil verboten ist, gibt es die Möglichkeit des Halbkreistrittes auf die Beine, welcher auch sehr schmerzhaft ist. Durch die Einführung der Regeln bewegte man sich vom Budo in Richtung Sportkarate. Dies war insofern zwingend, da es im reinen Budokarate keine Meisterschaften gibt. Die Schüler lieben aber Wettkämpfe.

Im Dojo hingegen praktiziert man das reine Budo. Hat man mit dem Training begonnen, so unterbricht man es nicht. Traditionsgemäss setzt man sich während des Trainings im Kyokushinkai-Dojo nie nieder. Eine typische Kyokushinkai-Karate-Lektion beginnt mit Aufwärmen, Grundschule und Prüfungsprogramm-Sequenzen. Es folgen Katas und Kampf. Am Schluss folgt das Dehnen.

Meister Arneil ist der Meinung, dass Karatekas aller Stilarten immer freundlich zueinander sein sollten. Egal welchen Stil man trainiert, bei hartem Training gelangt man zum Erfolg und ist mit sich selbst zufrieden. Höhere Grade, über 3. DAN sollten immer einen offenen Geist haben. Sie sollten andere nicht kritisieren, bekanntlich ist niemand perfekt, auch die Person nicht, die Kritik ausspricht.

Geschrieben von Sensei Edi Gabathuler (6. DAN), Landesvertreter der IFK Schweiz